"Es geht darum, die Zuneigung der Kunden zu gewinnen"

Für Jan Esche, Henn Architekten, dient Corporate Architecture dazu, innere Werte eines Unternehmens nach außen zu tragen und so auch die Identifikation der Mitarbeiter zur Firma zu steigern.

Was soll die Corporate Architecture eines Gebäudes ausdrücken?
Corporate Architecture umfasst die bauliche Darstellung eines Unternehmens nach innen und außen. Sie ist eine Komponente der Corporate Identity einer Unternehmung, also Bestandteil einer strategisch geplanten und operativ eingesetzten Selbstdarstellung und einer Verhaltensweise eines Unternehmens nach innen und außen auf Basis einer festgelegten Unternehmensphilosophie, sich langfristig nach innen und außen zur Darstellung zu bringen.
Corporate Architecture kann dazu beitragen, innere Haltungen und Wertvorstellungen (zum Beispiel Verantwortungsbewusstsein, Umweltbewusstsein, Qualitätsanspruch) nach außen hin erkennbar zu machen. Mit Corporate Architecture kann sich ein Unternehmen oder eine Institution in der Öffentlichkeit mit am deutlichsten und unmittelbar wahrnehmbar von anderen unterscheiden, kann vertrauensfördernd und glaubwürdig im Auftreten nach innen und außen wirken. Sie kann Mitarbeiter fördern, gute Corporate Architecture kann Wohlbefinden und Sympathie, die Identifikation steigern. Sie stellt somit eine wesentliche Mehrwert-Option dar.
Bei Corporate Architecture, also Unternehmensarchitektur mit Markenstatus, geht es darum, die Zuneigung des Kunden auf architektonischem Wege zu gewinnen. Traditionelle Formen der Kundenansprache genügen nicht mehr, um sich auf einem globalen Markt zu behaupten. Die Begegnung mit der Marke bleibt ein analoger Vorgang am realen Ort, der virtuell nur zusätzliche Wirkungen entfalten kann.

Wie gelingt es, den Kern und das Wesen einer Marke beziehungsweise eines Unternehmens herauszuschälen? Welche Tools setzen Sie dazu ein?
Programming, was vom Namen her durchaus Assoziationen zu Motivations- und Verkaufstechniken wecken mag, versteht sich als Methode, beim Bauherren die notwendigen Informationen zu generieren, so strukturiert und fundiert, vor allem aber auch so früh wie möglich, um ein Projekt dann zwischen "business needs", also den Kosten- und Effizienzaspekten, und den "user requirements", also den inhaltlichen, funktionalen und qualitativen Ansprüchen der späteren Nutzer, optimal abzuwickeln.
Es beginnt mit einer Analyse der Aufgabenstellung. Wir entwickeln daraus ein Anforderungsprofil, kommen zu einer Strategie und münden in einem Konzept oder einem Masterplan, noch vor dem Vorentwurf - an einem Punkt, wo der Architekt in der Regel mit einem Anforderungsprofil in Form eines Raumprogramms beginnt. Werber und Berater sprechen in diesem Zusammenhang von "Briefing". Zu Beginn eines Projekts hat man maximale Entscheidungsmöglichkeiten bei minimalen Folgekosten. Je weiter ein Projekt fortschreitet, desto eher nimmt der Entscheidungsspielraum ab, und desto teurer wird es, eine einmal eingeschlagene Richtung zu korrigieren. "First we shape things, then they shape us", wusste bereits Winston Churchill ...
Das Gespräch mit dem Auftraggeber bestreitet in der Regel ein mehrköpfiges Team, wobei die Moderation und die Visualisierung in Form von Charts und Karten im Vordergrund stehen. Als Ergebnis des Programming erhält man zum einen ein quantitatives Programm, aber auch ein qualitatives und funktionales, eben ein inhaltliches: die Anforderungen an das Gebäude, die Gestaltung von Räumen und Arbeitsplätzen und die Organisationsformen, die Prozesse, die Schnittstellen des Unternehmens, die eine Arbeitsweisen bestimmen und im Gebäude abzubilden sind.

In der Autostadt Wolfsburg oder bei Bugatti in Molsheim dreht sich alles ums Produkt? Wo bleibt in dieser Architektursprache der Mensch?
Es geht vor allem um die "awareness of communication". Auf den Dialog kommt es an. Es gibt komplexe Zusammenhänge, die sind mit einem klassischen Marketing oder einem Werbespot nicht zu vermitteln, also Dinge wie Gesundheit, Bildung, Religion und Mobilität. Das sind keine Produkte, das sind Themen, die berühren einen in seinem Lebensstil, in seiner Lebenshaltung. Und solche komplexen Themen kann man nicht einfach mit einem Werbespot im Fernsehen behandeln, sondern hier muss man Dialogplattformen schaffen. Da muss man narrativ arbeiten, muss man Geschichten erzählen.
Die Autostadt oder Bugatti Molsheim sind Kommunikationsplattformen. Sie sind automobile Erlebnis- und Kompetenzzentren. Hier werden einerseits Erlebnisse und Erfahrungen zum Thema (Auto-)Mobilität geboten, anderseits werden Werte, Technisches und Markenstrategien einsehbar.

Ihre Projekte sollen die Zeiten überdauern? Wie können denn Ihre Vorstellungen von Corporate Architecture in temporären Bauten umgesetzt werden?
Wirkliche Avantgarde ist nicht allein in der Formfindung zu suchen. Die Form allein ist nicht das Avantgardistische, vielmehr ist die Avantgarde im Erschließen von neuen Wirklichkeiten zu suchen. Will sich Architektur in der Gestaltung der neuen Wirklichkeiten einbringen, muss sie sich entsprechend verhalten. Architektur und Kommunikation als gebaute und gelebte Verständigung kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Denn Kommunikation bedeutet nicht nur Umgang mit Themen und Medien, sondern auch mit Bauten. Wissensmanagement und Kommunikation kann durch die Gestaltung von Gebäuden systematisch gefördert werden, die drei grundlegenden Markenstärken und Imagekomponenten Herkunft, Können und Charakter lassen sich durch baulich verankerte Kommunikation vermitteln, bauliche Konsequenzen lassen sich für eine verständigungsorientierte Kommunikation in der Gesellschaft ableiten.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren eigenen Messeauftritten gemacht, etwa in Dubai? Wo liegen die größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Architektur auf Zeit?Es muss immer eine Balance zwischen Konzentration und Kommunikation geben. Beides muss ermöglicht werden. Man muss mit anderen Menschen kommunizieren, man muss sich aber auch visuell und akustisch abschirmen können, um individuell arbeiten zu können.
Interview: Annic Kolbrück

m+a report Nr.1 / 2007 vom 13.02.2007
m+a report vom 13. Februar 2007