Kein freies Spiel der Kräfte

Messelogistik braucht absolute Zuverlässigkeit. Just-in-time-Service ist mehr als nur ein Schlagwort. Hunderte von Ausstellern wollen gleichzeitig bedient werden.

Große Maschinen müssen ebenso wie frische oder tiefgefrorene Lebensmittel und Tonnen von Prospektmaterial an die Stände gebracht werden. Ganze Lkw-Flotten, Kräne und Schwadrone von Gabelstaplern dürfen sich nicht gegenseitig blockieren, wenn der Wettlauf gegen die Uhr nicht verloren gehen soll.
Die Planungsverantwortung liegt bei den Messegesellschaften. Sie müssen für ihre Aussteller eine funktionierende Logistik in der Auf- und Abbauphase sicherstellen und können die Arbeit der Spediteure und die Warenströme nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Nicht alle Messegelände sind gleich gut strukturiert. Reibungslosen Abläufen stehen oft verstopfte Straßen und Halleneingänge entgegen, wenn es an professioneller Gesamtplanung hapert oder Pkw bis zur letzten Minute freie Zufahrt haben. Frankfurt und Köln seien von ihrer Struktur her schwierige Gelände, beschreibt ein Messespediteur die Handicaps. Besserung verspreche das neue Messegelände der Kölner, das für den öffentlichen Verkehr geschlossen werden soll. München hingegen biete auf seinem Messegelände in Riem für die Messelogistik gute Voraussetzungen. Auch in Hannover hätten sich mit der Expo 2000 die Bedingungen deutlich verbessert, allerdings seien die Spediteure dort außerhalb des Messegeländes untergebracht.

Um die Übersicht zu behalten, sind auf deutschen Messeplätzen nur eine begrenzte Anzahl "Offizieller Messespediteure" zugelassen. In Hannover teilen sich Schenker, Kühne & Nagel und Geologistics seit über zehn Jahren das Geschäft. Alle anderen, von Ausstellern beauftragte Speditionen, müssen ihr Messegut am Eingang des Geländes den offiziellen übergeben. Bei der Auswahl der Platzspediteure sind die Qualitätsmerkmale entsprechend dem Anforderungsprofil der Aussteller Internationalität, Kompetenz der Ansprechpartner, professionelle Planung, absolute Termintreue, und kostenorientierte Gesamtlösungen bis hin zur Einlagerung von Verpackungsmaterial und Leergut sowie Verladen und Abtransport. Sie beinhalten den Transport, die Zollabwicklung, die Zwischenlagerung, die Maschinenaufstellung, Lagerung und Auslieferung von Werbematerialien während der laufenden Messe. "Es nützt dem Kunden nichts, wenn die Maschine vom Lkw fällt", beschreibt Martin Thiem, Leiter der Abteilung Aussteller-Services der Deutschen Messe AG, Hannover, das Worst-Case-Szenario. Heute spiele zudem moderne Datenkommunikation eine wichtige Rolle. Viele Unternehmen erwarteten von ihren Spediteuren den Einsatz leistungsfähiger Telematiksysteme, mit denen sich der Warentransport international begleiten und dem Kunden jederzeit sagen lässt, wo sich der Transport gerade aufhält. In Hannover werden die Leistungspakete alle drei bis vier Jahre neu ausgeschrieben.

In Essen wird seit Jahrzehnten mit nur einem Unternehmen gearbeitet. "Hinsichtlich der Größe unseres Messegeländes ist die Zusammenarbeit mit einem Messespediteur sinnvoll", erläutert Rainer Palapies, Bereichsdirektor der Messe Essen. Die zentrale Abwicklung über den Ansprechpartner Alfred Paas & Cie. garantiere nicht zuletzt durch dessen umfassende Geländekenntnis eine effektive Zusammenarbeit. Paas gehöre der Kooperation Interpool an und könne auch als mittelständisches Unternehmen so den Anforderungen der Kunden gerecht werden. Alle Preise für die Speditionsleistungen werden jährlich überprüft. Essen vertrage allerdings auf Grund seiner Geländegröße, so verlautet aus Speditionskreisen, neben Paas durchaus einen zweiten Partner. Die Anzahl der Spediteure auf dem Gelände nicht zu begrenzen, erscheint allen Messegesellschaften nachteilig. Völlig offene Lösungen böten keine Schnittstellen zu den Abteilungen Technik, Logistik und Service.

Die enge Zusammenarbeit mit Spediteuren ermöglicht es den Messegesellschaften, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren, sagt Michael Hofer, Pressesprecher der Messe Berlin. Vor fünf Jahren konnte Geologistics neben Schenker hier einen Fuß als "Offizieller Spediteur" in die Tür setzen. Kürzlich wurde dieser Vertrag von der Messe Berlin langfristig verlängert. Das ist in der deutschen Messeszene eher ungewöhnlich. Aber größere Investitionen des Spediteurs im Kontext mit dem neuen Berliner Terminal, wo Bürogebäude, Lager und Frachtanlieferung untergebracht sind, machten aus Sicht beider Partner eine längere Vertragsbindung mit entsprechenden Abschreibungszeiträumen sinnvoll.
In München ist nach langer Monokultur seit 1998 neben Schenker auch Kühne & Nagel präsent. Die Überschaubarkeit des Zugangs auf dem Gelände erhöht die Sicherheit, denn alle Fahrzeugnummern sind registriert. Die Preise werden jährlich im Vergleich mit anderen Messegesellschaften überprüft und gelten immer nur für ein Jahr. Neuausschreibungen erfolgten allerdings nur "im Mehrjahresabstand", beschreibt Annette Slotty, Leiterin des Zentralbereichs Messeservice, die Usancen.

Für sein neues Messegelände hat Karlsruhe nach erfolgter Ausschreibung mit nur einem Spediteur abgeschlossen. Mehr gebe das derzeitige Volumen von jährlich 4500 Ausstellern nicht her, argumentiert Oliver Brück, Geschäftsbereichsleiter Service, Gastveranstaltungen und Messen der Karlsruher Messe- und Kongress GmbH. Statt die Volumina zu teilen, konnten so mit der Spedition Simon Hegele günstigere Konditionen für die Aussteller ausgehandelt werden. Der Exklusivvertrag hat - bei jährlichen Preisüberprüfungen - eine Laufzeit von zehn Jahren. Dem liegt eine spezielle Vereinbarung zugrunde: Hegele hat im Rahmen der engen Partnerschaft die 1100 m2 große Lagerhalle zu 100 % finanziert.
Hegele konzentriert sich vertragsgemäß auf die klassischen Speditionsleistungen. Und auch die anderen Messegesellschaften lassen ihre Spediteure nicht in den Servicebereich hineinfunken. So verstehen die Berliner die Messelogistik als Ergänzung der Serviceleistungen, die die Messe Berlin und ihre Tochterunternehmen erbringen. Überschneidungen im Servicebereich schließt auch Palapies durch die Abstimmung des Essener Leistungskatalogs aus.

Diese Arbeitsweise hat sich für alle Beteiligten offensichtlich bewährt. Denn Messeveranstalter sind keine Logistikunternehmen, sondern Kommunikationsdienstleister. "Speditionslogistik zählt in unserer Philosophie weder zum Kerngeschäft noch zum Bereich neuer Geschäftsfelder", beschreibt Martin Thiem den Wert der Arbeitsteilung. Und auch in München gibt es daran keinen Zweifel. "Ich möchte nicht selber Spediteur werden", sagt Annette Slotty. Wolf-Dietrich Groß

m+a report Nr.4 / 2004 vom 11.06.2004
m+a report vom 11. Juni 2004