Markenwelten als Gesamtkunstwerke

Den Kern einer Marke für Kunden und Mitarbeiter erlebbar machen: Unternehmensbauten oder -präsentationen können mehr als werbewirksame Imagespender sein.

Die Ansprüche und Erwartungen an die Präsentation von Marken und deren Produkten haben sich geändert und verfeinert. So wie der Kunstliebhaber nicht mehr in ein Museum geht, um eine Aneinanderreihung von Exponaten zu sehen, erwartet der Kunde heute mehr als die reine Zurschaustellung von Waren.
Komplexe räumliche Inszenierungen finden sich nicht nur in der temporären Messe-, Ausstellungs- und Eventarchitektur, sondern auch in der permanenten Architektur von Unternehmen. Markenwelten bilden den räumlichen Rahmen für eine Entdeckungsreise zum Unternehmen und zu seinen Produkten. Das Streben nach Identität und Unverwechselbarkeit ist in diesem Zusammenhang eine Herausforderung, bei der es nicht primär um Aufregung, sondern um Anregung geht. Vor allem die Konsumgüterindustrie setzt auf bauliche Ensembles, mit denen der Kunde eingeladen wird, die Markenwerte und das damit verbundene Lebensgefühl vor Ort zu erleben. Die Summe unternehmerischer und gestalterischer Leistungen nimmt städtebauliche Dimensionen an, die als gebaute Gesamtkunstwerke bezeichnet werden können.
"Der Hang zum Gesamtkunstwerk" war der Titel einer Retrospektive zu den Europäischen Utopien seit 1800, die im Jahr 1983 im Kunsthaus Zürich gezeigt wurde. Bazon Brock definierte diesen Begriff anlässlich der Ausstellung: "Von Gesamtkunstwerken wollen wir in allen Bereichen dann sprechen, wenn Individuen ein gedankliches Konstrukt übergeordneter Zusammenhänge als bildliche oder epische Vorstellung oder als wissenschaftliches System oder als Utopie entwickelt haben." Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass mit jeder einzelnen Wahrnehmung zugleich auch alle weiteren Sinne und intellektuellen Fähigkeiten stimuliert werden. Die Formulierung von übergeordneten Strategien umfasst im Idealfall alle Unternehmensbereiche, von den Produkten über die Produktionsweise bis zu den Produktionsstätten. Das Spektrum kann also "vom Sofakissen bis zum Städtebau" reichen, wie es der Architekt Hermann Muthesius bereits 1908 für den Standort der Deutschen Werkstätten in Hellerau bei Dresden formulierte.
Die Schaffung unverwechselbarer und atmosphärisch aufgeladener Szenerien ist bis heute eine der wirksamsten Möglichkeiten, um sich im Wettbewerb zu differenzieren. Neben den spektakulären Bühnen der Automobilindustrie setzen Unternehmen verschiedenster Sparten auf gebaute Identität, um sich auf dem globalen Marktplatz zu behaupten. Grundlage für eine glaubhafte Übersetzung von Markenwerten in Markenwelten ist das Wissen um die eigene Tradition und die zentralen Ziele, die es zu kommunizieren und zu manifestieren gilt. Markenwelten können dann mehr sein als werbewirksame Imagespender. Sie bieten die Möglichkeit, den Kern und den Erfolg einer Marke sowohl für die Kunden nach außen als auch für die Unternehmer und deren Mitarbeiter selbst durch exzellente Architektur erlebbar zu machen.
Ein Beispiel für die konsequente Weiterentwicklung eines traditionsreichen Standortes in eine moderne Markenwelt mit städtebaulichen Dimensionen ist das Corporate Headquarter der adidas Gruppe. "Die World of Sports ist der perfekte Standort für die Konzernzentrale der adidas Gruppe. Sie knüpft an das großartige Vermächtnis unseres Firmengründers Adi Dassler an, setzt architektonisch neue Maßstäbe und bietet mit ihren zahlreichen Sport- und Grünanlagen ein einzigartiges Arbeits- und Lebensumfeld für unsere junge internationale Belegschaft", so der Vorstandsvorsitzende Herbert Hainer.
Die als Campus konzipierte Anlage erstreckt sich über 114 ha auf dem Areal einer ehemaligen Kaserne in der Nähe des Gründungsortes Herzogenaurach. Die Entscheidung zur Umwandlung der leer stehenden Herzo-Base ist auch ein Bekenntnis des Unternehmens zum Standort Deutschland und dem gewachsenen Mitarbeiterstamm, der ein Stück deutsche Wirtschaftsgeschichte geschrieben hat. 1999 wurde ein Masterplan aufgestellt, der das Gelände in vier Welten unterteilt: die World of Sports als Firmenzentrale, die World of Living als Wohnquartier, die World of Commerce als Gewerbestandort sowie die Public World mit öffentlichen Einrichtungen. Mit dem 2003 fertiggestellten Factory Outlet Store tritt das Unternehmen direkt mit seinen Kunden in Kontakt. Jüngstes Glied in einer Kette von bemerkenswerten Bauten ist das Adi Dassler Brand Center, das im April 2006 eröffnet wurde. Das Ausstellungsgebäude bietet als interne Hausmesse eine Plattform für die saisonal wechselnden Produktpräsentationen für internationale Key Accounts.
Jons Messedat

m+a report Nr.8 / 2006 vom 08.12.2006
m+a report vom 8. Dezember 2006