Materialien machen Markenräume

Die weichen Faktoren des Brandings: Durch den zielgerichteten Einsatz von Materialien bei der Unternehmenspräsentation kann ein unverwechselbares Profil geschaffen werden.

Bei jedem Planungsprozess kommt der Punkt, an dem ein Bleistiftstrich oder eine Animation aus Millionen von Pixeln in Stein, Gummi, Glas, Keramik oder ein anderes, physisch greifbares Material übersetzt werden muss. Die Materialwahl lässt räumliche Bilder mit Anmutungen wie Solidität oder Zerbrechlichkeit entstehen und kann beim Betrachter unterschiedliche Empfindungen wie Wärme oder Kälte auslösen. Materialien sind die Träger und Vermittler von Emotionen und beeinflussen unsere räumliche Wahrnehmung sowie das Wohlbefinden in Räumen. Ob ein Raum billig oder hochwertig, einladend oder abweisend wirkt, entscheidet sich zuerst an der sicht- und fühlbaren Oberfläche. Die Materialität wird hier zur dreidimensionalen Benutzeroberfläche, die Informationen kommuniziert, Stimmungen erzeugt und Identität spürbar macht.
Traditionelle Baustoffe werden heute durch neue Materialien ergänzt, die oft für ganz andere Bereiche wie beispielsweise den Automobilbau, den Hochleistungssport oder die Medizintechnik entwickelt wurden. Es entstehen innovative Werkstoffe, die unsere gewohnten Erwartungen überraschen und irritieren können. Sie vereinigen bislang gegenläufige Eigenschaften in sich und widerlegen bekannte chemische und physikalische Gesetze. Die Grenzen zwischen Holz, Metall, Keramik und Kunststoff verschmelzen zu maßgeschneiderten Produkten, die in der Werkstoffkunde als "custom-made" bezeichnet werden. Dies hat zur Folge, dass die Oberfläche nicht mehr zwangsläufig eine Deckungsgleichheit mit den erwarteten Eigenschaften wie Gewicht und Festigkeit bildet und die gewünschte Anmutung simuliert wird.
Fake - also die Welt der Künstlichkeit und der Nachahmung - wird vor allem in der Messe- und Ausstellungsarchitektur zu einem Thema, das neue Möglichkeiten zur Schaffung von räumlicher Identität ermöglicht. So sieht beispielsweise der Schweizer Architekt Jacques Herzog Simulation als ein äußerst ergiebiges und interessantes Ausdrucksmittel von Architektur: "Wenn also die Ununterscheidbarkeit von Authentischem und Nichtauthentischem akzeptiert wird, dann ist dies etwas, das uns seit jeher stark interessiert und geprägt hat."
Reale Gebäude und Räume sind nicht ohne die eigene Präsenz vor Ort erlebbar. Man muss um sie herumgehen, sie erschließen und begehen. Der analoge Besuch von Messen und Ausstellungen kann nicht durch virtuelle Inszenierungen oder müheloses Surfen ersetzt werden. Materialien sind der Schlüssel vom virtuellen Raum zum realen Erleben der sogenannten "weichen" Faktoren des Brandings wie Identität, Sympathie und Emotion. Der Besucher möchte die raumbildenden Elemente, von den Wandverkleidungen und Bodenbelägen bis hin zur Ausstattung mit Mobiliar und Textilien, "bemustern" und in die Hand nehmen, um mehr über deren Beschaffenheit zu erfahren. Ein Beispiel dafür ist, dass Touristen schon fast zwanghaft die Objekte und Gebäude, die sie besuchen, anfassen und befühlen müssen. Real vor Ort zu sein, bedeutet eben auch, die Erfahrung des Widerstands von Dingen zu machen, um sich der eigenen Präsenz im Raum zu vergewissern. Markenräume bilden als dreidimensionales Marketinginstrument die räumliche Visitenkarte von Unternehmen und deren Marken. Mit dem Einsatz von neuen Materialien können Unternehmen ein eigenständiges Profil entwickeln und sich im Wettbewerb differenzieren. Durch die richtige Materialwahl werden den Kunden und Mitarbeitern Assoziationen und Informationen zu Unternehmensinhalten und Leitsätzen vermittelt.
So wurde beispielsweise für das Verkaufs- und Marketingcenter des dänischen Schuhherstellers Ecco, das bereits mit dem skandinavischen Metallpreis für Architekten ausgezeichnet wurde, eine innovative und ebenso werbewirksame Fassade entworfen. Die Leitsätze des Unternehmens, das sich in der Nähe von Tønder, rund 25 km nordwestlich von Flensburg aus der flachen Marschlandschaft erhebt, sind "Kreativität, Innovation und Umweltbewusstsein". Mit Blick auf die vom Unternehmen vorgegebenen Kriterien wählten die Architekten vom dänischen Architekturbüro Arkitektfirmaet Rudolf Lolk A/S aus Esbjerg ein Fassadenmaterial aus, das sich durch innovative Möglichkeiten in der Farbgestaltung sowie Langlebigkeit und die Möglichkeit des Recyclings auszeichnet. Die beiden abgeschrägten Ausstellungskuben sind mit anthrazitfarbenem Farbaluminium in Falzqualität verkleidet, das mit den Farbtönen der Umgebung gut harmoniert. Viel Wert wurde auf die Ausbildung der Details gelegt. So wurden spezielle Profile entwickelt, die trotz der schrägen Wände eine saubere Linienführung an den Gebäudeecken ermöglichen. Ein weiteres ungewöhnliches Element sind die expressiven Fensterbänder, die dem Raster der Fassadenbekleidung einen dynamischen Charakter verleihen und im Inneren für eine ungewöhnliche Tageslichtführung sorgen. Jons Messedat

m+a report Nr.7 / 2006 vom 27.10.2006
m+a report vom 27. Oktober 2006